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Foto: Matthias Kuen 2025

Der letzte Zug

Man stelle sich vor: Ein junger Mann hat einen deutschen Pass, ist vielleicht hier geboren, er ist in Deutschland aufgewachsen, fühlt sich als Deutscher, hat sich für Deutschland eingesetzt – und plötzlich ist er in seinem Heimatland nicht mehr willkommen, wird beleidigt, gedemütigt, angegriffen, verfolgt und soll am besten das Land verlassen. Von vielen Menschen, die sich als „echte“ Deutsche bezeichnen, wird er nicht als solcher angesehen. Warum? Weil er sich irgendwie unterscheidet; dies reicht den meisten schon, um ihn abzulehnen. Diese Menschen behaupten – und sie werden immer mehr –, der junge Mann schade dem Land und seinen Menschen, und er nutze es aus. Weil er dies aber nicht glauben will, bleibt er – denn es werden vielleicht auch wieder bessere Zeiten kommen. Doch die kommen nicht und es wird schleichend immer schlimmer …

Darum geht es im Figurentheaterstück „Der letzte Zug“: Es ist das Jahr 1945. Siegfried, Margarethe und Jakob Goldberger sind die einzigen Überlebenden einer großen jüdischen Familie. Bei einem Schachspiel blicken sie Zug um Zug auf die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit zurück. Die Geschichte, an die sich die Goldbergers erinnern, beginnt im Jahr 1929: Siegfried Goldberger verlobt sich mit der Christin Margarethe. Noch sehen sie voller Zuversicht in die Zukunft. Doch schon bald verändert sich ihr ganzes Leben. Während das Paar sich frühzeitig in die USA absetzt, weigert sich der Vater Jakob mit den übrigen Familienmitgliedern seine deutsche Heimat zu verlassen. Als er sich endlich zur Flucht entscheidet, werden die Goldbergers von den Nationalsozialisten „evakuiert“. So beschreibt das Theater Kuckucksheim den Inhalt des Stücks auf seiner Homepage.

Am Montag, den 26. Februar 2025 führte Stefan Kügel es in der Aula des Gymnasium Fridericianum vor 200 Schülerinnen und Schülern der 9. bis 12. Jahrgangsstufe und Lehrkräften auf. Mit jiddischen Liedern, historischen Originalaufzeichnungen und Berichten von aus Franken stammenden Zeitzeugen, aus Adelsdorf vor allem, wird diese Geschichte von Liebe und Leid, Vertrauen und Misstrauen, Heimat und Fremde begleitet. Nachdenklich und ergriffen hat es die Zuschauerinnen und Zuschauer hinterlassen.

Nach der Vorstellung bestand die Gelegenheit, Fragen an den Schauspieler zu stellen. Stefan Kügel schilderte, wie es zu diesem Stück kam und warum es ihm ein Anliegen ist, dies gerade vor Schülern zu spielen: Der reichen jüdischen Kultur und der Gemeinde von Adelsdorf sowie deren Überlebenden des Holocaust soll damit ein Denkmal gesetzt werden, so dass diese nicht in Vergessenheit geraten. Zudem ist es ihm ein Herzensanliegen, gerade mit Blick auf unsere Gegenwart, vor Rechtsextremismus und der Beschädigung der Demokratie zu warnen. Aus genau diesem Grund setzten wir Organisatorinnen uns dafür ein, diese Aufführung an unsere Schule zu holen. Gerade weil populistische Strömungen, rechtsradikale und antisemitische Haltungen und Straftaten momentan in Deutschland und weltweit wieder zunehmen, ist Rechtsextremismus- und Antisemitismusprävention zunehmend gefragt. Hier will das Frici seinen Beitrag leisten, und seine Schülerinnen und Schülern in ihrer Entwicklung hin zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern einer Demokratie unterstützen. Diese Theatervorstellung stellt einen künstlerischen Zugang dar und ergänzt die zahlreichen anderen Bausteine und Ansätze des Fridericianum auf diesem Themenfeld. Ohne eine finanzielle Förderung durch die Bürgerbewegung für Menschenwürde in Mittelfranken e.V. sowie durch das Kulturamt der Stadt Erlangen und den Förderverein des Frici wäre die Veranstaltung nicht möglich gewesen. Dafür möchten wir uns bedanken.

Die Gegenwart ist nicht die Vergangenheit, doch manchmal drängen sich Parallelen und Vergleich auf. – Was bleibt zu tun? Vielleicht kann man aus der Vergangenheit lernen, diese ist eine Ermahnung, wachsam zu sein. Denn „[d]er Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!“ (Bertolt Brecht: Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui)

(Text: Andrea Wiesner-Krotter)